Juni 2023 – Trinkwasser nach der Überflutung

Als ob Raketen, Drohnen und Splitterbomben nicht genug wären, werden jetzt auch noch Ressourcen, die für Ernährung, Landwirtschaft und Energieerzeugung gedacht und genutzt waren, zu Waffen gegen Menschen und Umwelt eingesetzt. Die Sprengung des Kachowka-Dammes, der einen Stausee von der mehrfachen Grösse des Bodensees bzw. fast der halben Grösse des Assuan-Stausees mit dem gigantischen Fassungsvermögen von 18 Milliarden Kubikmetern Wasser zurück hielt, hat nicht nur eine rasch eintretende Überflutung zahlreicher Städte und Ortschaften flussabwärts zur Folge gehabt. Die ehemalige Grossstadt Cherson, die in den langen Kriegsmonaten durch die brutale und mit unendlichem Leid verbundene Belagerung durch die Verbrecher der sog. „Wagner-Gruppe“ (es lebe die deutsche Kultur) Bekanntheit erlangt hat, war bis auf einen Bruchteil der Einwohner zwar schon zuvor nahezu entvölkert, so dass es nicht zu Tausenden akuter Überschwemmungsopfer gekommen ist. Aber der Staudamm lieferte auch das Wasser für die beidseits des weiteren Dnipro-Verlaufs früher intensiv betriebene Landwirtschaft. Durch den Eintrag von hunderten Tonnen Schweröl und anderen Schadstoffen, die bei Sprengung und Überflutung in das Flusswasser gelangt sind und die sich mit dem Rückgang des Wassers im Boden ablagern werden, dürften nach Expertenangaben einige Tausend Quadratkilometer landwirtschaftlicher Flächen auf Jahre hinaus nicht mehr nutzbar sein. Von den Folgen für Flora und Fauna völlig abgesehen sind das enorme wirtschaftliche und damit soziale Schäden, und das eigentlich Schlimme daran ist, dass diese Effekte nicht nur in Kauf genommen wurden, sondern in voller Kenntnis beabsichtigt waren.

Wo das Süsswasser vorwiegend mechanisch verunreinigt ist, gibt es immer dann, wenn eine industrielle oder grosstechnische Lösung nicht möglich oder nicht rechtzeitig möglich ist, die Chance, mit dezentralen punktuellen Lösungen wenigstens übergangsweise für trinkbares Wasser ohne Einsatz von Energie und ohne grosses technisches Know How zu sorgen. Eine Möglichkeit (s. Aktuelles“, vorhergehender Beitrag) ist PAUL, die Portable Aqua Unit for Livesaving, eine wie der Name sagt tragbare Apparatur zur Wasserbehandlung. PAUL wurde vor ca. 20 Jahren an einer deutschen Universität (in Kassel) entwickelt, basiert auf Nano-Oberflächentechnologie und hat gleich mehrere Vorteile (leider auch einen wichtigen Nachteil). Nach meiner Kenntnis wurden bisher schon über 4.000 PAUL´s weltweit verteilt, darunter auch 90 in Deutschland. Das Gerät ist leicht – um die 25 kg – und kann deshalb von Menschen transportiert werden; das ist entscheidend überall da, wo Strassen und andere Transportwege unterbrochen sind. Das Gerät ist sehr robust und kann z.B. aus einem dicht über Grund fliegenden Hubschrauber oder an einem Fallschirm abgeworfen werden; es benötigt keine externe Energie, der Filtrationsvorgang erfolgt ausschliesslich durch den hydrostatischen Druck des eingefüllten Schmutzwassers; und der Betrieb erfordert keine technischen Kenntnisse oder speziellen Gerätschaften, eine einfache Wartung ist nur nach Monaten des Betriebs nötig. Während PAUL auch Bakterien und Viren fast vollständig heraus filtert (die Porengrösse liegt zwischen 20 und 100 Nanometern, das ist ein Zehntel bis ein Fünfzigstel Mikrometer; ein Typhus-Bakterium misst dagegen etwa einen halben bis gut einen Mikrometer im Durchmesser, die Mehrzahl der krankmachenden Viren liegt in der Grösse zwischen 20 und 300 Nanometern), sind chemische Schadstoffe zumeist gelöst und deshalb durch die Filterung nicht entfernbar.

Dank einem langjährigen Freund aus dem Ebersberger Umfeld, der mit seinem Ingenieur-Büro nicht nur über viele Jahre hinweg für Planung und Umsetzung des Hochwasserschutzes im Landkreis verantwortlich gewesen ist, sondern mich auch vor 12 Jahren über den örtlichen Rotary- und LIONS-Club mit dem PAUL-System bekannt gemacht hat, konnten wir nun für EFI sechs solche Filter-Einheiten erhalten und in die ukrainischen Überflutungssgebiete losschicken.

Danke, Robert Hoßfeld und danke, dass Du Deinen persönlichen Draht zum PAUL-„Erfinder“ und Hersteller Prof. Frechen eingesetzt hast, damit das auch in Zeiten sehr hoher Nachfrage so rasch möglich geworden ist!

PS am 5.7.23: die vorerst 6 PAUL-Einheiten sind wohlbehalten in Osnabrück angekommen, von wo sie diese Woche durch die Ukraine-Hilfe-Gruppe „What have you Done“? nach Cherson transportiert werden. Ein kleiner Beitrag, aber sicher nicht der letzte.

PPS am 20.7.23: die PAULs haben ihr Einsazugebiet unterhalb des gesprengten Kachowka-Dammes erreicht und sind, so hören wir von unseren dortigen Partnern, bereits im Einsatz. Die Reaktion von dort: „Auch wenn manche Chemikalien von den Filtern nicht abgefangen werden, ist vielleicht mit Chemikalien verunreinigtes Wasser so viel besser als eine vielleicht mit Chemikalien verunreinigte, aber garantiert Bakterien- und Viren-haltige Schmutzbrühe – danke an EFI!“

Juni 2023 – weitere Ausrüstung für den Op

Unter schwierigsten Bedingungen arbeiten Kolleginnen und Kollegen in dem, was nach den nicht endenden Raketenangriffen gerade auch auf die medizinische Infrastruktur noch als „Krankenhäuser“ geblieben ist; oftmals ohne Heizung, mit sporadischer Stromversorgung, mit Betrieb lebenswichtiger Ausrüstung (z.B. Sterilisatoren, Licht, Beatmungsgeräte) an irgendwie betriebenen Generatoren und immer in der Angst vor der nächsten Drohne. Krieg ist kein ritterliches Turnier wie früher, aber die in diesem Krieg an den Tag gelegte Menschenverachtung mit gezielter Beschädigung und Zerstörung der lebenswichtigen Grundstrukturen hat in der Sprengung des Kachowka-Staudamms einen weiteren unsäglichen Höhepunkt erreicht.

Dieser Staudamm in der Gegend von Cherson mit einem dahinter liegenden Stausee viermal so gross wie der Bodensee war entscheidend für die Landwirtschaft im gesamten Gebiet, für die Stromerzeugung (die allerdings wegen des Alters der Anlage nicht besonders hoch war), aber auch für die Trinkwasserversorgung grosser Teile der Süd-Ukraine einschliesslich der Krim und nicht zuletzt für die Kühlung des riesigen Kernkraftwerkes Saporischyja. Die Kontamination des jetzt in die Ebene südlich von Cherson auslaufenden Wassers mit Öl und anderen Chemikalien wird, so ist zu befürchten, die landwirtschaftlichen Flächen auf Dauer verseuchen und eine Bewirtschaftung auf langer Zeit nicht mehr erlauben.

Es ist erschütternd anzusehen, wie die nach den brutalen Kämpfen um die Stadt Cherson ohnehin nur vereinzelt zurück gebliebenen Bewohner jetzt, nachdem sie Raketen, Bomben, Granaten und Strassenkampf überlebt haben, erneut nur mit dem Nötigsten oder gänzlich ohne jede Habe auf der Flucht sind, ohne eine Perspektive, wohin sie sich wenden sollen. Vor ihnen liegt zerstörte Heimat, das linke Flussufer ist von Feinden besetzt, von denen jede denkbare Grausamkeit droht, eine Versorgung von aussen durch internationale Organisationen ist nur sehr begrenzt möglich wenn überhaupt.

Inmitten dieses Chaos versuchen ärztliche Kolleginnen und Kollegen, einen notfallmässigen Klinikbetrieb aufrecht zu erhalten; darunter in einem ehemals grossen Krankenhaus in Saporischyja, zu denen EFI seit Kriegsbeginn Verbindung hat und die wir im Laufe des vergangenen Jahres nach unseren Möglichkeiten mit Instrumenten, Medikamenten und weiterer Ausrüstung unterstützt haben. Auf dringende Anfrage konnten wir jetzt aktuell ein gebrauchtes Hochfrequenz-Gerät mit Zubehör zum Einsatz bei Operationen beschaffen, welches der Beschleunigung der Chirurgie und der Blutstillung dient. Damit lässt sich neben der Zeitersparnis unter Zeitdruck vor allem die Blutstillung erheblich verbessern, zumal Nahtmaterial (auch hier bemüht sich EFI regelmässig um Nachschub) und Blutkonserven bei Weitem nicht ausreichend zur Verfügung stehen.

Damit das noch nicht mit Chemikalien, aber doch mit sehr viel Sand und anderen Schwebstoffen verunreinigte Dnipro-Wasser, das jetzt und für lange Zeit durch die gebortstene Staudamm-Mauer fliessen wird, wenigstens halbwegs als Trinkwasser genutzt werden kann, bemüht sich EFI seit wenige Stunden nach der Sprengung um die Beschaffung einer grösseren Zahl des transportablen Reinigungssystems „PAUL“ (Portable Aqua Unit for Lifesaving), das bei einem damaligen Stückpreis von US-$ 1.000.- vor Jahren schon erfolgreich in Pakistan, Myanmar, Haiti und Malawi zum Einsatz gekommen ist. MIt entsprechender wartungsarmer und energieunabhängiger Technik kann ein „PAUL“ täglich etwa 1.000 Liter verschmutztes Wasser zu passablem Trinkwasser machen.

Wir werden berichten, ob Beschaffung und Transport gelungen sind und ob gegebenenfalls rechtzeitig.