Lunsar in Sierra Leone

Sierra Leone ist eines der ärmsten Länder der Erde; das pro-Kopf-Brutosozialprodukt beträgt € 400.- (BRD: 25.000.-), die Kindersterblichkeit ist mit 256 pro 1.000 Geburten weltweit die höchste (BRD: 4 pro 1.000). Die Lebenserwartung liegt bei 40 Jahren. Malaria, Gelbfieber, AIDS, Ebola, Typhus, Ruhr und Cholera sind nur einige der Erkrankungen, welche die Gesundheit der Bevölkerung ständig bedrohen. Ein Gesundheitssystem im europäischen Sinne existiert nicht, das ganze Land mit einer Population von ca. 6.000.000 verfügt über 200 Ärzte (zum Vergleich: alleine in Hamburg sind es mehr als 10.000 ÄrztInnen). Ein 10 Jahre andauernder Bürgerkrieg, in dem es auch um sog. „Blutdiamanten“ ging, hat das Land völlig ruiniert, die seit einigen Jahren mit Hoffnung beobachtete (und von den UN unterstütze) Erholung ist jetzt erneut dadurch gefährdet, dass sich Hundertausende von Flüchtlingen aus den zunehmend instabilen Nachbarländern Guinea und Liberia in das kriegsfreie Sierra Leone aufgemacht haben.

Lunsar ist eine kleine Provinzstadt etwa 100 km landeinwärts von der Hauptstadt Freetown (Freetown heisst übrigens „Freetown“ – und der Staat Liberia „Liberia“ -, weil die Stadt vor gut 250 Jahren mit freigelassenen und in ihre Heimat zurück gebrachten Sklaven hauptsächlich aus Nordamerika gegründet wurde. Dieses geschichtliche Faktum ist noch heute in Sierra Leone, das im 17. Und 18. Jahrhundert der Hauptumschlagplatz für afrikanische Sklaven war, und in Liberia Grund für erhebliche soziale Spannungen zwischen „zugereisten“ Freigelassenen und den ansässigen Stämmen).

Die Stadt hat etwa 25.000 Einwohner und verfügt über ein nicht zu kleines Krankenhaus, das von Barmherzigen Brüdern aus Barcelona mit einem nigerianischen Arzt und Freiwilligen aus Europa unterhalten und notdürftig betrieben wird. Dorthin führte im November 2009 ein erstmaliger Einsatz von Interplast, nachdem der Orthopäde Dr. Wolfgang Haller vom Verein „Orthopädie für die dritte Welt e.V.“ (ODW) und die Op-Schwester Edith Niederstebruch, beide aus Ebersberg, bereits in den Jahren zuvor dort gearbeitet hatten. Das Team stand unter der Leitung von Prof. Hajo Schneck wurde ergänzt durch weitere Ebersberger Interplast-Mitglieder (Cristina Lorenz und Dr. Julia Eidt) und durch Dr. André Borsche aus Bad Kreuznach, den Vorsitzenden von Interplast Germany.

Anders als bei vielen Op-Camps lag hier ein Schwerpunkt auf der Behandlung chronischer Knochenmarkseiterungen („Osteomyelitis“) und in Fehlstellung bzw. nicht verheilter Knochenbrüche. Besonders eindrucksvoll und glücklicherweise erfolgreich verlief die Behandlung eines 10-jährigen Jungen mit einer lebensbedrohlichen Infektion des Unterschenkels nach einem Schlangenbiss: das Bein und das Leben des Buben konnten durch grossflächige und tiefe Abtragung des infizierten Gewebes mit nachfolgender Hauttransplantation gerettet werden.

Mittlerweile laufen die Vorbereitungen für den nächsten gemeinsamen Einsatz von ODW und Interplast Germany auf Hochtouren; das Team wird sich Anfang November 2010 auf den Weg machen und diesmal für mehrere Wochen vor Ort bleiben – wir werden unter „Aktuelles“ über den Stand der Dinge berichten.

EFI konnte dank einer sehr erfolgreichen Weihnachtsaktion 2008 zusammen mit der Ebersberger Zeitung, dem Autohaus Kirchseeon / Eder-Gruppe sowie den örtlichen Clubs von LIONS und Rotary auch einige Tausend Euro in die Ausstattung der Schwesternschule des dortigen Krankenhauses stecken. In einem Land, das sich für sechs Millionen Einwohner auf nur 200 Ärzte stützen kann, ist die Investition in die Ausbildung des medizinischen Assistenzpersonals sicher eine gute, wenn nicht die einzig sinnvolle Entscheidung.

Einen wichtigen Schritt, an dem EFI zusammen mit dem Verein „Globolab“ bereits arbeitet, wird die Ausstattung des Krankenhauses mit den Labor-Möglichkeiten für die Untersuchung von Bakterien und ihrer Empfindlichkeit gegen Antibiotika darstellen – hier ist von einigen Tausend Euro eine entscheidende Verbesserung der Behandlungsmöglichkeiten zumindest bei den Infektionskrankheiten zu erhoffen. Nicht zuletzt dank einer grosszügigen Spende der Fa. Henkel AG in Düsseldorf hat das Labor-Projekt erhebliche Fortschritte gemacht; Teile der Ausrüstung wurden Anfang September 2010 verschifft und sollten Lunsar Anfang Oktober erreichen (Näheres s. bei „Aktuelles“).

Erschütternd (eine Erfahrung, an die sich niemand je gewöhnen kann) war die Häufigkeit geburtshilflicher Komplikationen. Im Nachbar-Op wurden fast täglich Notfall-Kaiserschnitte durchgeführt, und selbstverständlich boten wir unsere Hilfe bei der Versorgung der Neugeborenen an. Leider kam der Kaiserschnitt nach vielstündigem oder sogar mehrtägigem Transport ins Krankenhaus oft zu spät, und die Wiederbelebungsversuche waren kaum jemals erfolgreich. Statistisch haben Frauen in Sierra Leone im Durchschnitt sechs Kinder, von denen aber nur fünf die Geburt und das erste Lebensjahr überstehen. Nur gut die Hälfte der Kinder erreicht das Erwachsenenalter (um dann vielleicht Soldat zu werden).

 


seit 2017

OdW e.V. (umbenannt mittlerweile in „Orthopedics for the Developing World“) führte und führt seine Tätigkeit in Lunsar regelmässig weiter, zur Zeit mit mehreren Einsätzen pro Jahr. Daneben hat sich unter dem Eindruck schwieriger Probleme bei der Behandlung von Infektionen nach Op in räumlicher (und personeller) Nachbarschaft – Aßling im Landkreis Ebersberg – der Verein GloboLab e.V. gegründet mit dem Ziel, in Lunsar eine brauchbare und möglichst verlässliche mikrobiologische Labordiagnostik zu ermöglichen.

Neben der seit 2004 in Lunsar tätigen Ebersberger Op-Schwester Edith N. und ihrem Mann, dem Bioingenieur Nils N., trägt die Last dieses Projektes Doris Sixt, EFI-Mitglied und langjährige Laborchefin der Kreisklinik Ebersberg. Ohne ihre fachliche Kompetenz und ihr unglaubliches Engagement neben der eigentlich ausreichend aufreibenden und unendlich verantwortungvollen Berufstätigkeit wäre das kleine Labor in Lunsar, das EFI vom ersten Tag an mit finanzieller Unterstützung für Ausstattung und vor allem die Übernahme von Reisekosten begleitet hat, nicht denkbar. Ausstattung, Handlungsvorgaben und vor allem die Ausbildung örtlicher KollegInnen tragen ganz deutlich die Handschrift von Frau Sixt, auch wenn sie wenig Wesens darum macht.

Einen schmerzlichen Rückschlag für dieses und viele andere Projekte in Sierra Leone bedeutete die Ebola-Endemie in den Jahren 2014 und 2015 (welche in Subshara-Afrika keineswegs beendet ist). Im ganzen Land mit etwa 9 Millionen Einwohnern wurden offiziell etwa 3.000 Tote registriert, tatsächlich dürften es wohl erheblich mehr gewesen sein (schon die offiziellen Zahlen bedeuten eine Mortalität von gut 0,3 Promille). Die toten Erwachsenen aus dieser Epidemie fehlen jetzt, einige Jahre danach, nicht nur in der fragilen Ökonomie des schon zuvor bitterarmen Landes, sondern sie haben auch zahllose Waisen, sozialen Unfrieden und Vertrauensverlust in Regierung und Gesundheitswesen hinterlassen. Eine besorgniserregende Parallele dazu ist, was besonders die ärmeren Länder der Welt nach Abklingen der Corona-Pandemie mit weltweit bisher fast 7.000.000 registrierten Opfern erwartet (s. unsere Berichte zum Waisenhaus in Haridwar/Indien, „Hauptprojekte“). Zum Vergleich: von der Weltbevölkerung von 8 Milliarden sind offiziell bisher 0,8 Promille gestorben, anteilsmässig also mehr als doppelt so viele wie an Ebola in Sierra Leone; in Deutschland mit etwas verlässlicheren zahlen sogar 115.000 von 84 Millionen entsprechend 1,4 Promille). Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen dieser Katastrophe können in Sierra Leone und seinen Nachbarländern heute beobachtet und mehr oder weniger entsprechend auf andere Teile der Welt extrapoliert werden.

Diese Waisen sind es, denen Doris Sixt´s besondere Fürsorge gilt. Für eine wenigstens minimale Ernährung, die eine halbwegs ausreichende Widerstandskraft gegen Malaria, Bilharziose, Dengue-Fieber, Hepatitis, Lassa, Tollwut und neuerdings zunehmend cVDPV (die von mutierten Impfstoff-Viren verursachte Variante des Kinderlähmungs-Erregers) möglich macht, für eine minimale Gesundheitsfürsorge durch Verabreichung von Vitaminen und Kampagnen zu Grundimpfungen, daneben in Einzelfällen auch gezielte medizinische Behandlung an geeigneter Stelle (z.B. bei juveniler Zuckerkrankheit, wichtigen Operationen u.s.w.) setzt sie seit Jahren Freizeit, Energie und Phantasie ein. EFI e.V. konnte in den letzten sechs Jahren 22.000.- Euro an Doris Sixt übergeben, Geld, das sie zumeist anlässlich der Labor-Einsätze persönlich an die örtlichen Vertrauenspersonen in Waisenhaus und Klinik überbrachte und für das sie in ihrem Freundeskreis energisch und erfolgreich Spenden eingeworben hatte. Direkter kann Hilfe nicht geleistet werden; und effizienter kann man sich humanitäre Hilfe kaum vorstellen als durch die gesundheitliche Förderung und die Ausbildungsunterstützung der kommenden Generation in einem Land, das Bürgerkrieg, Kriminalität, Kleptokratie, Seuchen und Hunger kennt wie kaum ein zweites.


2016

Nachdem Westafrika offiziell als Ebola-frei erklärt worden ist, haben auch die „Orthopäden für die Dritte Welt ODW e.V.“ ihre Aktivitäten wieder aufgenommen; nach einem Testeinsatz im November 2015 färt Anfang März ein Team aus Orthopäden, Unfallchirurgen, AnästhesistInnen und Op-Pflege nach Lunsar, um die Entwicklung einzuschätzen und – natürlich – eine möglichst große Anzahl von operativen Eingriffen durchzuführen.

Nachdem in den letzten Jahren die Wirtschaft (und das heisst dort in erster Linie der Anbau und die Verteilung von grundliegenden Nahrungsmitteln) stark gelitten hat, z.B. dadurch, dass die Wanderarbeiter, die traditionell Anbau und Ernte übernehmen, nicht „wandern“ durften, konnten oder wollten, beginnen die Länder Liberia, Guinea und Sierra Leone sich langsam von sehr niedrigem Niveau aus wieder hoch zu arbeiten. Was den Gesundheitsbereich anbelangt, scheint es eine gewisse Hoffnung zu geben, dass das Ausmass der Ebola-Endemie und vor allem die völlige fehlende Vorbereitung auf derartige Katastrophen eine Schock-Wirkung entfaltet haben, die nun vielleicht eine etwas höhere Einschätzung der Bedeutung eines wenigstens in geringem Umfang strukturierten Gesundheitswesens zur Folge haben könnte.

Plastisch-chirurgische Eingriffe stehen in der Rangfolge des nun Notwendigen allerdings sehr weit hinten, genau wie viele andere Methoden und Verfahren der westlichen Medizin; Trinkwasser, allgemeine Hygiene, Seuchenprävention und Impfwesen, Verminderung der Mangelernährung u.s.w. haben eine wesentlich höheren Stellenwert.

Klinik-GF S. Huber (li) übergibt Op-Instrumente für Sierra Leone an Drs. Klaiber (Mitte) und Haller (Foto: EZ)

Klinik-GF S. Huber (li) übergibt Op-Instrumente für Sierra Leone an Drs. Klaiber (Mitte) und Haller (Foto: EZ)

Der Partner-Verein „ODW e.V.“ hat mittlerweile seine materiellen Möglichkeiten ausgebaut und eine Reihe wichtiger Sponsoren und Unterstützer gefunden, so dass zukünftig eine Förderung durch EFI nicht mehr erforderlich sein wird. EFI verabschiedet sich deshalb mit einer Beteiligung am diesjährigen Lunsar-Einsatz der KollegInnen W. Haller, B. und A. Klaiber, E. und M. Kreutzer und T. Kräuter in Geld, Sachmitteln und Medikamenten in Höhe von ca. € 2.500.- und wünscht weiterhin guten Erfolg.

 

 

 

 


2014

Zwei Einsätze im Januar mit allgemein- und kinderchirurgischer Unterstützung (und mit Unterstützung durch EFI) konnten duchgeführt und weitere Pläne geschmiedet werden, als die ersten Gerüchte über den Ausbruch von Ebola in Westafrika, speziell auch in Sierra Leone und den beiden direkten Nachbarstaaten Liberia und Guinea, zu hören waren. Es ist hier nicht der Ort, um auf die Besonderheiten von Ebola in ganzer Breite einzugehen; fest steht jedenfalls, dass dieser erste und schon nach kurzer Zeit grösste bisher beobachtete Ausbruch die gesamte Region, vielleicht auch grosse Teile Afrikas und genauso Länder ausserhalb Afrikas vor medizinische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Probleme allerhöchster Brisanz stellen wird.

Bereits jetzt stehen die wirtschaftlich kaum von den Bürgerkriegen der Jahrtausendwende erholten Länder vor Hungersnot und Fehlen jeder Perspektive. Das Vertrauen in die objektiv bisher durchwegs hilflosen, teilweise dabei aber recht selbstsicheren und wenig einfühlsamen weissen Helfer hat enorm gelitten, gross angelegte Hilfsaktionen (welchen Inhalts?) werden deshalb auf wenig Mitwirkung rechnen dürfen, dasselbe wird künftig für den Versuch von Impfkampagnen gelten, sollte es nach Abschluss der Patent- und Lizenzkämpfe und Lösung derzeitiger logistischer Probleme zur Bereitstellung einer nennenswerte Menge auf Wirksamkeit geprüfter Impfdosen kommen.

EFI wird auf absehbare Zeit keine Teams egal welcher Zielsetzung nach Westafrika unterstützen. Sobald sich plausible, über kurtzfristigen Aktionismus hinausgehende Ansätze zur Verbesserung der medizinischen und sozialen Gegebenheiten auftun, muss und wird dieser Entschluss zu überdenken sein.


2013

Nach zwei weiteren Einsätzen in den Jahren 2010 und 2011, die mit nennenswerter finanzieller Unterstützung von EFI durchgeführt wurden, wurden für das Frühjahr 2013 zwei kurz aufeinander folgende Op-Camps geplant, das erste vom 9. bis 24. März unter Leitung des Orthopäden und langjährigen ODW-„Aktivisten“ Dr. Wolfgang Haller aus Ebersberg, mit chirurgischer Unterstützung aus der hiesigen Kreisklinik (Dr. A. Klaiber), anästhesiologischer Kompetenz aus Landshut (Dr. A. Fischer), nochmal Ebersberg (Dr. B. Klaiber) und Düsseldorf (Dr. M. Kreutzer) und mit einer starken Gruppe von GloboLab e.V. (E. Niederstebruch, D. Sixt, N. Niederstebruch und Dr. P. Jell). Organisatorisch fand der Einsatz unter dem Dach der Interplast-Sektion Bad Kreuznach statt. EFI konnte drei Tickets finanzieren sowie Material und Medikamente im Wert von weiteren ca. € 3.000.- beissteuern.

Soweit sich bereits ein Resumée ziehen lässt, muss leider festgestellt werden, dass die Leistungsfähigkeit der gastgebenden Klinik stark zurück gegangen ist, insbesondere was Betriebskosten und personelle Ausstattung aus Europa betrifft – der in Spanien beheimatete Orden ist wie ganz Spanien in finanziellen Schwierigkeiten. Es ist so bitter sich klar machen zu müssen, dass die Gier einer Handvoll „masters of the universe“, die zur weltweiten Finanzkrise geführt hat, letztlich wieder die Menschen am härtesten trifft, auf deren Rücken schon klassischer und heute Rohstoff-Kolonialismus zu unserem Reichtum beigetragen haben. Vielleicht konkretisieren sich Möglichkeiten einer niederländischen Beteilgung am Unterhalt der Klinik in Lunsar, aber das steht noch in den Sternen.

Ein weiterer Einsatz (Leitung Dr. F. Schmidt-Hoensdorf aus Isen) unter OWD-Federführung ist derzeit (30. März bis 14. April 2013) im Gange; nach Rückkehr des Teams, an dessen Kosten EFI ebenfalls mit mehreren Tausend Euro beteiligt ist, werden wir ausführlich berichten.